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In das melancholische Bild, welches entlaubte Bäume und leere Felder geben, mischen sich zwar allmälig auch freundliche Farben: die junge Saat predigt vom neuen Jahre, vom nächsten Frühling; - aber bald sinken mehr und mehr Schneeflocken herab und verändern die Welt um uns her. Die Martinizeit (der 11. November) verändert gleichfalls ein Stück Welt um uns her; es ist die Zeit, da die Leute den Dienst wechseln, und leider nimmt das Wechseln von Jahr zu Jahr zu. Wenn endlich der Uebergang vom Herbst zum Winter vollzogenm wenn Alles "in seine Ruh'" gekommen ist, und wenn die Spinn-Abende immer länger werden erinnert man sich der von den Voreltern ererbten, für diese Zeit passenden Gebräuche und sinnt auf möglichst belustigende Ausführung. Da überstrahlt das Weihnachtsvorspiel "der Schimmel" alle übrigen Spiele und Späße. Als ich zum erstenmal die Bekanntschaft des Schimmels machte, ward mir wirklich bange zu Muthe: ich nahm an, daszlig; das Geschrei, welches zu unseren Ohren drang, mit einem Unglücksfall oder einer Rauferei in Zusammenhang stehe. Und dabei dieses unsinnige, beängstigende Stampfen und dieses erbarmungslos heftige Klingeln! "Der Schimmel kommt! Der Schimmel kommt!" - Da ich unvorbereitet war, empfand ich, was gewiß recht belehrend war, Etwas von der Aufregung, welche um jeden Preis zu dem Festspiel gehört. Die Ausführung geschieht auf verschiedene Art. Der Schimmel kommt entweder in Begleitung des Bären und anderer Figuren mehrmals in den Wochen vor Weihnachten, oder er erscheint vorläufig allein und er überläßt dem Bären und den Anderen, am vierundzwanzigdten Dezember in den s.Z. von ihm besuchten Häusern um Gaben zu betteln. Hier ist die erstgenannte Art die bevorzugte. - Nachdem die Leute die Erlaubnis eingeholt haben, erscheint der Festzug auch im Herrschaftshause, d.h. nur in den Küchenräumen; und nun erfolgt die Bitte, die Herrschaften möchten zusehen. Sobald der Zug die Hausthür erreicht hat, rennen die Dienstmädchen kreischend in die Küche, wohin der Schimmel seine Schritte lenkt, und thun als suchen sie ein sicheres Versteck. Es ist aber auch für jeden Zuschauer überhaupt rathsam, einen geschützten Platz zu gewinnen, um nicht von den Masken unversehens gestoßen und gespießt zu werden. Gewöhnlich kommt zuerst der Schimmel. Diese Figur wird von einem Manne (oder einem großen Knaben) dargestellt und erinnert an Vielerlei, nur nicht an ein Roß, es sei denn, daß man den mit Häcksel oder Werg ausgestopften Kopf für ein Pferdehaupt gelten läßt. Außer diesem oft drastisch häßlichen Kopf gehören zur Darstellung des Schimmels zwei Siebe, die durch Stangen mit einander verbunden sind und mit Hülfe darüber gehängter weißer Tücher den Körper abgeben, und ein Flachsbündel, welches als Schwanz gelten muß. Die Stangen sind horizontal gerichtet, und zwischen ihnen steckt der Reiter. Es ist gewiß recht anstrengend, sich selber und den unbequemen Aufbau ringsum so zu bewegen, daszlig; man das Bild eines unbändigen, beständig vor= und rückwärts tanzenden und springenden Pferdes gewinnt. Je toller und spaßhafter diese diese Figur sich benimmt, desto besser hat sie ihre Sache wahrgenommen. Der Reiter muß seinem Rosse (oder vielmehr sich selber und den weißen Tüchern) unermüdlich Peitschenhiebe austheilen, wozu der Schimmelkopf mit komischer Gleichgültigkeit in die Luft starrt. Irgendwo wird dem Schimmel eine Klingel angehängt, die natürlich unablässig läutet. Ohne auf die Hülferufe zu achten, richtet das Unthier seine meiste Aufmerksamkeit auf die Geflüchteten. Im Uebrigen tanzt es, wie ein Cirkus=Pferd, in der Mitte der Küche. Die dazu nöthige Musik wird meist durch einen Harmonika=Künstler geliefert. Die anderen Figuren tragen ihr Möglichstes zu dem lärmenden Jubel bei, und das immer mehr anwachsende Publikum betheiligt sich in gleicher Weise daran. Von den Erstgenannten sei zuerst des Bären gedacht! Der "Baar" hat wahrlich keine leichte Aufgabe. Ungefähr acht Bunde Erbsenstroh werden um einen Mann gewickelt, welcher auf Händen und Füßen kriechen und eine schwere Holzkette am Fuszilge weiterschleppen muß. Man sieht bei dieser Maske nur eine kolossale Menge Stroh; alles Uebrige ist unserer Einbildung überlassen. Der Bär bekommt viel Prügel und Fußtritte, muß brummen und mit scheinbarer Anstrengung aufrecht tanzen. Auch einige der übrigen Masken erhalten herkömmlicher Weise reichlich Schläge u.s.w., so z.B. das Bettelweib, das einen Korb im Arme trägt und die Gaben für die kleine Gesellschaft in Empfang nimmt; ferner der Jude (mit langen schwarzen Haaren), der sich immer vordrängeln muß und viele insinnige Scheltworteempfängt. Dann sind da noch der Storch, der einen langen Schnabel, welcher wie die hölzernen Blumentopfgitter weiter und enger zu schieben ist, vor sich her trägt; der Schornsteinfeger mit seinen Attributen; "die Koß" (Ziege), die sich mit einer Schüttergaffel (siehe Glossar !) [Schüttergaffel f., die aus Holz gearbeitete Stroh=Gabel.] bewaffnet hat und recht wild um sich stoßen muß. Jedes Haus, in das der Festzug kommt, muß Gaben liefern. In Bauerndörfern geht es dabei hoch her. Dort geht gewöhnlich der Bär, seltener das Bettelweib, am vierundzwanzigsten Dezember umher und erhält reichlich Speck, Würste, Fleisch und Brod u.s.w. Und "dann" sagt ein hiesieges Sprichwort, "hat die liebe Seel' Ruh"; - auf einen fetten Schmaus war's ja doch abgesehen, "denn" sagt ein anderes Sprichwort "Essen und Trinken hält Leib und Seel' beisammen". Eine andere, jetzt fast ganz erloschene Sitte mit derselben Tendenz ist der
"Brummtopf". Früher gingen in den Wochen vor Weihnachten zwei Burschen mit
diesem musikalisch sein sollenden Instrument von Haus zu Haus. In diesem Brummen gehörten verschiedene Deklamationen. Am bekanntesten war (und ist noch heute [1884]):
Heute wird der Brummtopf nur noch ausnahmsweise als Kinderspielzeug zur Weihnachtszeit hergerichtet, und die Kinder lernen zu ihrem eignen Vergnügen die darauf bezüglichen Gedichte. Eine große Hauptsache bei dem Weihnachtsfeste bleibt selbstverständlich "Etwas zum heil'gen Christ bekommen", und da wissen selbst die ärmsten Leute ihren Kindern eine Freude zu machen. Werden die Dorfkinder im Herrschaftshause bescheert, so lernen sie nicht nur Gesangbuchverse, Bibelstellen u. dgl. m. (-- am beliebtesten ist "O du fröhliche, o du selige Weihnachtszeit"--), sondern auch , ohne Rücksicht auf die anzusprechenden Personen, "Gedichte" folgender Art:
In großen Dörfern und wol auch noch hier und da
in einer kleinen Stadt ziehen die Kinder an den Weihnachtstagen umher und
singen: Was den Aberglauben in Bezug auf Weihnachten anbetrifft, so ist Folgendes zu
verzeichnen: Bekanntlich heißen die Tage vom fünfundzwanzigsten Dezember bis zum fünften resp. sechsten Januar "die Zwölften"; für dieselben gelten nachstehende Bestimmungen: man darf während dieser Zeit keinerlei Beschäftigung mit Flachs haben, denn so viele Schäben (oder Schewen), d.s. die Abfälle von den Flachsstengeln, umherfliegen, so viel Läuse würde das Vieh bekommen; wird dennoch in einem Hause derartige Arbeit vorgenommen, so dürfen indeß diejenigen, welche sie thun, nicht in den Viehstall gehen.- Die Zwölften geben auch eine Art Kalender ab: das Wetter an diesen Tagen ist ein Hinweis auf das Wetter während der zwölf Monate des neuen Jahres; also der fünfundzwanzigste Dezember weisagt für den Januar, der sechsundzwanzigste Dezember für den Februar u.s.f. "Nichts ausborgen" gilt auch für Weihnachten, zum
Mindesten für den "heiligen Abend."
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