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Aus der zeitweiligen „Volkshalle“ ist
wieder eine „Jahrhunderthalle“ geworden:
Haupteingang der Breslauer Sehenswürdigkeit |
Steinerne Erinnerung an die Befreiungskriege
Vor 100 Jahren wurde die Breslauer Jahrhunderthalle
eröffnet –
Seit 2006 zählt die Unesco sie zum Weltkulturerbe
von Helmut Sauer
Ein Jahrhundert nach den
Befreiungskriegen wurde
in Breslau die Jahrhunderthalle eröffnet, deren Kuppel mit einer freien
Spannweite von 65 Metern Durchmesser zu jener Zeit die weltweit größte ihrer Art
war. Zeitgleich mit der Halle erhielt Breslau ein Messegelände, dessen Zentrum
diese bildet.
Noch 100 Jahre später waren die Breslauer Bürger
stolz auf die Bedeutung ihrer Stadt für die Befreiungskriege. Am 10. März 1813,
dem Geburtstag seiner Frau, der berühmt gewordenen Königin Luise (1776–1810),
hatte Friedrich Wilhelm III. von Preußen im Breslauer Schloss das Eiserne Kreuz
nach dem Vorbild des Ordenskreuzes der Deutschritter gestiftet. Eine Woche
später war der berühmt gewordene „Aufruf an mein Volk“ zur Unterstützung des
Krieges gegen Napoleon und die Gründung von Freikorps wie das berühmt gewordene
Lützowsche Freikorps gefolgt.
Vor diesem Hintergrund beschloss der Stadtrat
Breslaus drei Jahre vor der zu erwartenden Hundertjahrfeier von 1913 den Bau
einer repräsentativen Erinnerungsstätte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts planten
und bauten mehrere Städte Stadthallen. So wurde der in Breslau als Stadtbaurat
wirkende Max Berg (1870–1947) im Jahre 1911 beauftragt, ein wirkungsvolles und
repräsentatives Bauwerk zu planen, das auch eine breite Palette wirtschaftlichen
Nutzens bieten sollte.
Es muss als absolute Pioniertat gewürdigt werden,
wie Berg mit seinem engsten Mitarbeiter Richard Konwiarz (1883–1961) und den
Bauingenieuren Günther Trauer und W. Gehlen die gestellte Aufgabe anging und
bewältigte. Zwar stand Berg mit dem Stahlbeton ein neuer Werkstoff zur Verfügung
und mit der von Friedrich von Thiersch erbauten Festhalle in Frankfurt am Main
aus dem Jahr 1907 gab es auch ein architektonisches Vorbild, aber Erfahrungen
mit der Verwendung von Stahlbeton im Kuppelbau – schon gar in solchen
Dimensionen – lagen noch nicht vor. Deshalb müssen auch die Leistungen des
berechnenden Statikers Trauer, aber auch die bemerkenswerte und solide
Ausführung durch die Hochbaufirmen Dykerhoff & Widmann und Phillip Holzmann AG
gewürdigt und anerkannt werden.
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Breslau Jahrhunderthalle: Innenraum |
Die Idee Bergs basierte auf einem Grundriss von
zwei sich kreuzenden Ellipsen, die im Kreuzungsbereich von der kreisrunden
Kuppel gekrönt werden. Durch die Anlehnung an kirchliche Baugliederungen
empfanden Besucher eine ähnliche Feierlichkeit wie in sakralen Bauten. Bis heute
beeindrucken die gewaltigen Dimensionen der Halle. Der Kuppeldurchmesser beträgt
achtbare 65 Meter und überspannt 6.000 Quadratmeter. Der Durchmesser des
Unterbaus erreicht sogar 95 Meter, womit die überbaute Gesamtfläche 13.000
Quadratmeter ausmacht. Die Gesamthöhe bis in die Kuppel-Laterne beträgt stolze
45 Meter. Mit dieser Spannweite überrundete die Jahrhunderthalle nach 1800
Jahren die bis dahin am weitesten gespannte Kuppel des Pantheons in Rom (43
Meter), aber auch die Kuppeln vom Dom in Florenz von Filippo Bruneleschi (42
Meter), der Peterskirche in Rom von Michelangelo (42,5 Meter) und der
Sophienkirche in Konstantinopel (33 Meter). Und während die Kuppel des Pantheons
„ganze“ 1.500 Quadratmeter überdacht, bedeckt die Jahrhunderthalle einschließlich
der sie umgebenden Ringhalle eine Fläche von 10.000 Quadratmetern. Über dem
Unterbau befindet sich der erste Fensterring, dem noch ein weiterer
Oberlichtkranz aufgesetzt ist. Die Kuppel wird geprägt von einer abgestuften Befensterung aus vier umlaufenden Lichtbändern. Diese großzügige Ausstattung mit
natürlichen Lichtquellen bewirkt, dass in der Halle nahezu
Tageslichtverhältnisse herrschen, die sie auch für Ausstellungen besonders
geeignet macht. Die Halle besitzt rund 6.000 Sitzplätze, bei Verwendung von
Stehplätzen fasst sie beinahe 20.000 Personen.
Vor 100 Jahren wurde die Jahrhunderthalle im
Rahmen einer mehrdimensionalen Feier eröffnet. Am 31. Mai 1913 eröffnete eine
Aufführung des „Festspiels in deutschen Reimen“, das der schlesische
Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann (1862–1946) im Auftrage der Stadt für diesen
Zweck verfasst hatte, den Reigen der Veranstaltungen in der Jahrhunderthalle. In
dem zur Zeit der napoleonischen Kriege spielenden Stück lässt Hauptmann Athene
Deutschland sagen: „Und alldurchdringend, mich durchdringend allzu gleich,
erkenn ich meines Daseins, meiner Waffen Sinn: die Tat des Friedens ist es,
nicht die Tat des Kriegs. Die Wohltat ist es! Nimmermehr die Missetat! Was
andres aber ist des Krieges nackter Mord?“ Diese großen Worte wider den Krieg
führten zum Abbruch der Veranstaltung durch den Breslauer Magistrat nach
Protesten von Kriegervereinen und dem preußischen Kronprinzen.
Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges hat das
Bauwerk recht gut überstanden hatte, so dass es auch in der Nachkriegszeit seine
große architektonische Bedeutung behielt. Im Zuge der dramatischen Zäsur, welche
die Geschichte Breslaus 1945 erlebte, wurde aus der Jahrhunderthalle eine „Hala
Ludowa“ (Volkshalle), der Bezug auf die preußisch-deutsche Geschichte galt nicht
mehr als opportun.
Aber auch in Polen gab es nach dem Zusammenbruch
der kommunistischen Phase einen Wandel im Umgang mit der deutschen Geschichte
Schlesiens. Sie wurde vorsichtig in das eigene Geschichtsbild aufgenommen. Nach
Bemühungen aus der polnischen Stadtverwaltung wurde das Bauwerk aus dem Jahre
1913 im Jahre 2006 unter dem Namen „Centennial Hall“, der englischen Übersetzung
von „Jahrhunderthalle“, als Pionierleistung des Stahlbetonbaus und der modernen
Architektur in die Liste des Weltkulturerbes der Unesco aufgenommen. Und
neuerdings wird die Halle in der Republik Polen selber als „Hala Stulecia“, die
polnische Übersetzung von „Jahrhunderthalle“ bezeichnet.
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weitere Informationen:
Schätze der Welt: Breslau Jahrhunderthalle
Teil 1:
www.swr.de/schaetze-der-welt/breslau-jahrhunderthalle/-/id=5355190/nid...;
Teil 2:
www.swr.de/schaetze-der-welt/breslau-jahrhunderthalle/-/id=5355190/nid...;
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